Eine kurze Strecke nach dem Dorfhotel Fernblick, wo der Brabeck Weg in eine starke Rechtskurve bergaufwärts übergeht und dort als Bergegg bezeichnet endet, läuft ein  Feldweg am Brabeck-Haus vorbei und verliert sich am Horizont in den Feldern. Furth heißt dieser Ortsteil von Bad Gams. Vor einer Holztafel, die den Wanderern die Richtung zu Nymphenweiher und Märchensee weist, erwartet mich bereits Inge-Margareta Brenner. Ein freudiges Wiedersehen nach langer Zeit, hatten sich doch unsere Wege seit den frühen 80er-Jahren in der Grazer Bücherstube nicht mehr gekreuzt.

Inge-Margareta Brenner wurde am 6. Mai 1952 in Graz geboren und wuchs in Deutschlandsberg auf. Ihr Vater, Franz Brenner, betrieb einen damals überaus bekannten Tabak-Großhandel für den gesamten Bezirk und ihre Mutter Margareta die Trafik in Deutschlandsberg. Nach der Absolvierung der Volks- und Hauptschule, bezeichnenderweise in der Deutschlandsberger Schulgasse, wechselte Inge-Margareta Brenner mit 14 Jahren ins Internat, in die „höhere“ Schule nach Graz, der damals sogenannten „Entenschule“ (mit ungeliebter Hauswirtschaftslehre) in der Schrödingergasse, heute bekannt unter der Bezeichnung „Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe“.

Schon in der Mittelschulzeit entwickelte sich bei ihr eine unglaubliche Liebe zur englischen Sprache, Literatur und den ganzen angelsächsischen Kulturraum. Sie kam nicht nur in Kontakt mit Vertretern des „Augustan Age“, wie dem Lyriker Thomas Gray und der Drama- tikerin Eliza Haywood, sondern war von den Vertretern der Moderne besonders angetan:  William Somerset Maugham, Virginia Woolf und dem Lyriker Dylan Thomas. Einen festen Platz in ihrem Herzen nimmt die Hinneigung zum Werk von James Joyce ein. Sein berühmtester Roman „Ulysses“ berührt sie besonders – nicht nur durch den erzähltechnisch frühen Einsatz des „stream of consciousness“ und den  Romanaufbau mittels innerer Monologe.

Das Studium der Anglistik an der Karl-Franzens-Universität in Graz entwickelte sich zu einem eher kurzen Gastspiel, wollte Inge-Margareta Brenner doch „nebenbei“ arbeiten, um sich diese Ausbildung überhaupt finanzieren zu können. Ein Vorstellungstermin beim damaligen AUA-Büro in der Grazer Herrengasse wurde für ihre Zukunft  schicksalhaft. Der  Steiermarkchef der Austrian Airlines, Gerhard Heschgl, der Bruder des damaligen AUA-Vorstandsdirektors DDr. Anton Heschgl, der die rot-weiß-rote Traditionsairline von 1969 bis 1993, 24 Jahre lang leitete, engagierte sie 1972 auch  aufgrund ihrer fulminanten Englischkenntnisse vom Fleck weg.

Das Arbeitspensum war beträchtlich und Inge Brenner häufte so viele Überstunden an, dass sie jedes Jahr bis zu drei Monate Zeit hatte, die Welt zu erkunden. Ihr erstes persönliches AUA-Ticket führte sie natürlich nach Dublin. Es galt, auf den Spuren Leopold Blooms zu wandeln, die verschlungenen Wege des wenig erfolgreichen Annoncenakquisiteurs vom 16. Juni 1904 aus dem Roman Ulysses nachzuvollziehen.

Durch viele Fernostreisen – die erste ging nach Thailand, Hong Kong und Japan – entdeckte sie nun auch eine tiefe Verbundenheit zum asiatischen Raum und kam mit dem Buddhismus in Kontakt. Nach anfänglicher Praxis des Zen folgte ab 1990 die Hinwendung zum tibetischen Buddhismus und 1992 die offizielle Konversion als Mitglied der Österreichisch Buddhistischen Religionsgesellschaft (ÖBR).

Ab 1994, nach einer Begegnung mit dem ehrwürdigen Geshe Khenchen Sherab Gyaltsen Amipa Rinpoche wurde sie dessen Schülerin und beschäftigte sich mit der Sakya-Tradition – neben Nyingma, Kagyü und Gelug eine der „vier großen Schulen“ des tibetischen Buddhismus.

1998 erfüllte sich Inge Brenner einen Traum. Schon seit Kindheitstagen war sie vom Brabeck-Haus in Bad Gams fasziniert, das als „Heimat des Dornröschens“ auserkoren wurde. Nun konnte sie dieses märchenhafte und blumenumwachsene Gebäude, das aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt und im Stil der „Erzherzog-Johann-Häuser“ erbaut wurde, erwerben. Unter größtem Aufwand und unglaublicher Liebe zum Detail renovierte sie das unter Denkmalschutz stehende Anwesen, das in umittelbarer Nähe zum Dorfhotel durch den portikusartig durch Säulen gestalteten, überbauten Torbereich und den Bildstock auffällt. Ehemals Verwaltungs- gebäude des Schlosses Wildbach, war es auch einmal „Baderhaus“, ein Quartier für Kranke und Leidende, die vom sogenannten „Bader“ betreut wurden, der eben nicht nur Badestuben betrieb, sondern seit dem Mittelalter auch verschiedenste Heilberufe ausübte. Das Nebengebäude wurde als Produktions- ort der Weberei Brabeck genutzt.

Nach Fertigstellung des Anwesens eröffnete Inge-Margareta Brenner 2002 in diesem Gebäudekomplex das „Bud- dhistische Zentrum Bad Gams – Sakya Tsechen Changchub Ling“, dessen Gründer und spiritueller Lehrer Khenchen Sherab Gyaltsen Amipa Rinpoche 2014 in Winterthur in der Schweiz verstarb. Inge-Margareta Brenner, Leiterin des Zentrums, führt seitdem Seminare und religiöse Veranstaltungen mit dem Ehrwürdigen Khenpo Tashi Sangpo Amipa, Residenzmönch des „Zentrums Thubten Changchub Ling“, in Arosio in der Schweiz durch. Seminarleiter ist Christian Bernert, der in Wien Religionswissenschaft, Tibetologie und Bud- dhismuskunde studierte und seit 2009 in Kathmandu (Nepal) lebt, wo er an der International Buddhist Academy ein Übersetzerprogramm koordiniert und Mitbegründer der „Chödung Karmo Translation Group“ ist, die alte buddhistische Texte aus dem Tibetischen in europäische Sprachen transkribiert.

Brenners Zentrum, das Besuchern und Buddhisten aus aller Welt offen steht, wurde zu einem wundervollen Ort der Begegnung. Neben religiösen Veranstaltungen ist das Haus auch ein Ort der Förderung des interkulturellen Austausches. „Drinnen und draußen“ finden Ausstellungen, Lesungen und Musikabende statt. Wobei das Wort „draußen“ besonderer Erklärung bedarf. Der wunderbare Garten ist ein kraftvolles Energiefeld, in dessen Zentrum eine über 300 Jahre alte, riesenhafte Linde steht. Nicht von ungefähr ein weibliches Wesen, das, wie behauptet wird, die Germanen der Göttin Freya zuschrieben und den Slawen als heiliger Baum galt. Drumherum – Inge Brenners sagenhafte Verbindung zu Pflanzen ist sprichwörtlich –  wachsen Winter-Duftschneebälle, deren tief-    rosafarbene Knospen oft schon im Februar aufblühen und nach Vanille riechen, Feigenbäume, Quitten, Felsenbirnensträucher, asiatische Blüten-Hartriegel und verschiedenste Clematis-Sorten, wie  z. B. die „Nelly Moser“ oder „Armands Waldrebe“. Um die Mauern des buddhistischen Tempels in der ehemaligen Weberei und bis zum hölzernen Balkon im ersten Stock des Haupthauses ranken sich verschiedenste Rosenarten. Besondere Pflanzen, die Inge Brenner vom Garten ihrer Eltern in Deutschlandsberg nach Bad Gams um- pflanzte, um sie neu zu kultivieren, sowie englische Kletterrosen von David Austin, darunter so wunderbare Sorten wie „Tess of the d’Urbervilles“ oder „Crown Princess Margareta“. Als Bewunderin und Liebhaberin der britischen Gartenkunst hat sie damit eine besonders große Freude. Alle diese ver- schiedenartigen Gewächse mischen ihren Duft zwischen die Farben der buddhistischen Gebetsfahnen, die teilweise wie grellbunte Blüten, teilweise auch sturmzerzaust und verwittert auf dünne Seile gereiht, in den Ästen hängen. Werden sie doch von den Gläubigen bis zur vollständigen Verwitterung dem Wind ausgesetzt, damit nach ihrer Überzeugung die Gebete dem Himmel zugetragen werden.
Als Repräsentantin der Österrei-        chischen Buddhistischen Religionsgesellschaft ÖBR für die Steiermark wohnt und arbeitet Inge-Margareta Brenner während der Sommermonate im großen Haus neben dem Kulturzentrum. Sie zieht erst im Herbst nach Graz, wo sie seit vielen Jahren den Buddhismus im Interreligiösen Beirat der Stadt Graz vertritt. Sie ist auch Mitglied der Orga- nisation Sakyadhita („Töchter des Buddha“), die 1987 als Netzwerk bud- dhistischer Frauen im indischen Bodh- gaya gegründet wurde.

2002 gründete sie den Verein zur „Förderung interkultureller Begegnung“ und ist auch dessen Obfrau. Beim Medizin-Kongress an der Uni Graz und dem Öko- logie-Kongress im Schloss Seckau bei Leibnitz im Rahmen von „Kalachakra- Kultur“ teilte sie sich 2002 die Organisationsarbeit mit Dr. Andrea Loseries-Leick, die für den ersten Besuch des Dalai Lama in Graz verantwortlich zeichnete. Auch plante sie mit namhaften Künstlern Ausstellungen sowie Licht- und Klanginstallationen zum „Bardo Thödröl“, dem tibetischen Totenbuch.

Seit Jahrzehnten ist Inge-Margareta Brenner auch kulturell, politisch und sozial tätig, und würde ich über alle ihre Aktivitäten zur Vorbereitung von internationalen Kongressen, Ausstellungen, Lesungen, Bürgerinitiativen, Kundgebungen für Tierrechte sowie Zusammenkünfte, in denen es um Menschen- und Frauenrechte ging, schreiben, könn- te ich ein sehr dickes Buch füllen.

Die Begegnung mit Andreas Wabl, Freda Meissner-Blau, der Galionsfigur der österreichischen Ökologiebewegung, und Günter Nenning im Jahr 1984 wurde für sie inspirierend und prägend. Denn es war auch das Jahr der Proteste gegen das geplante Donaukraftwerk bei Hainburg sowie der Beginn der Besetzung der Hainburger Au. Nach unzähligen Aktivitäten für Basisdemokratie,  Selbstbestimmung so- wie dem Engagement in ökologischen und ökosozialen Fragen im weststeirischen Raum wurde sie in der Folge Mitglied des Landesvorstandes der Grün-Alternativen Liste Steiermark  und gründete schließlich 1984/85 die Grün-Alternative Liste Deutschlandsberg. Nach ihrem Austritt aus der Partei 1997 –  bereits ab 1995 begann eine interne Spaltung der „Grünen“ und im Oktober 1997 erklärte Christoph Chorherr seinen Rücktritt als Parteivorsitzender – blieb sie ein Mensch, dessen politischer Einsatz und Interesse auch außerhalb dieser Organisation niemals abnahm.

Zu Beginn der 1990er-Jahre war Inge-Margareta Brenner auch Gründungsmitglied des „Kulturforum Laßnitzhaus“ in Deutschlandsberg, wo sie ganz bedeutende, unvergessene Ausstellungen, Lesungen, Theateraufführungen und Kinoabende organisierte.

Über die Grenzen des Landes hinaus geschätzt und bewundert wurde 1999 ihre fundierte Präsentation über Peter Handke. Nach der Veröffentlichung des Reiseberichts „Gerechtigkeit für Serbien“ folgten eine unglaubliche Denunzierung des Autors und ein Aufschrei der Empörung in den deutschsprachigen Feuilletons. Aus Ignoranz oder Unwillen zog der damalige Deutsch- landsberger Bürgermeister das Budget für die Ausstellung zurück, und sogar Mitglieder des eigenen Vereins verweigerten die Zusammenarbeit mit Inge-Margareta Brenner. Auch eine Bank widerrief ihre versprochene Unterstützung. Nach einem persönlichen Gespräch mit  Siegfried Unseld, dem Leiter des Suhrkamp Verlags in Frankfurt am Main, der ihr zu ihrem Mut und literarischen Engagement für Peter Handke gratulierte und sofort eine finanzielle Unterstützung veranlasste, sowie der rettenden monetären Zuwendung eines Hofrates im Bundeskanzleramt, damals für den Bereich Literatur verantwortlich, brachte sie das nötige Budget zusammen, um diese wichtige Ausstellung doch durchführen zu können.
Im Herbst 2016 organisierte sie „Colours of Europe“ im Barocksaal des Priesterseminars Graz: ein  Konzert des „Patrick Noronha Orchestra London – Music of the Spheres Ensemble“, das sich für diesen Abend aus internationalen Musikerinnen und Musikern der Kunstuniversität Graz und dem Solisten Orpheus Papafilippou aus London formierte.

Mittlerweile sitze ich schon ziemlich ratlos bei Inge-Margareta. Mein Notizbuch ist vollgeschrieben und noch immer erzählt sie mir von vergangenen Aktivitäten. Von den größtenteils bereits fertig organisierten Veranstaltungen für das heurige Jahr ganz zu schweigen: Am 18. Mai findet in der Synagoge in Graz die Veranstaltung „Zwischen Ganges und Jordan“ statt. Das Thema sind Märchen und Texte aus Judentum und Buddhismus, die vom Schauspieler und Regisseur Daniel Doujenis gelesen werden, am Akkordeon begleitet von Stefan Heckel.

Am 22. und 23. Juli 2017 reist der Tibetologe Mag. Christian  Bernert aus Hanoi nach Bad Gams und hält eine Geistesschulung unter dem Titel „Buddhas Weisheit – Das Rad des Lebens“. Und Ende August folgt ein Seminar mit dem Tibetologen und Fach- übersetzer Mag. Dennis Johnson über das Thema Achtsamkeit.
Ans Ende der Geschichte fügt sich harmonisch ein, was mir Inge-Margareta Brenner, die zwischen Bad Gams, Graz, London und St. Ives Pendelnde, während der Zubereitung einer weiteren Kanne „St. Pancras Blend Tea“ von Fortnum & Mason am Piccadilly erzählte. Über vielleicht die ersten Gedanken, die ihre befreiende Einsicht zur Grundlage allen Lebens erklären –eine frühe Wurzel betreffend späterer Hinwendung zur Lehrtradition des Bud- dhismus.

Als im katholisch-weststeirischen Umfeld Aufwachsende, fragte sie als Kind ihren Vater, warum er nicht mit ihrer Mutter die Kirche besuche. Er antwortete mit einem Satz, der seitdem in ihrer Erinnerung einen wichtigen Platz  gefunden hat und für ihre Lebenseinstellung essenziell wurde: „Meine Kirche sind der Wald und die Natur.“

Aus der Portraitreihe: Westendstorys von R.W. Sackl-Kahr Sagostin
Photographie & Text: Robert W. Sackl-Kahr Sagostin
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